Das aktuelle Team von NACOA Deutschland Foto: NACOA Deutschland/Hauke Dressler

20 Jahre Einsatz für Kinder aus suchtbelasteten Familien

Seit 20 Jahren ist NACOA Deutschland in Deutschland aktiv. Dieses Jubiläum war der Anlass für die Fachtagung am 20. September, dem Weltkindertag, in Berlin. Im Fokus einer Podiumsdiskussion und eines Vortrages des Psychologen und Psychotherapeuten Jens Flassbeck standen die „Erwachsenen Kinder“. Auch bei der Jubiläumsgala am Abend ging es immer wieder um die Frage, wie das Aufwachsen in einer suchtbelasteten Familie das weitere Leben prägt.    

Etwa drei Millionen Kinder und Jugendliche wachsen derzeit in Deutschland mit mindestens einem suchtkranken Elternteil auf, jedes fünfte bis sechste Kind ist betroffen. Hinzu kommen sechs Millionen Erwachsene, die in suchtbelasteten Familien aufgewachsen sind und häufig noch immer darunter leiden. Denn sie alle tragen ein deutlich erhöhtes Risiko, eine psychische Krankheit zu entwickeln. „Kinder aus Suchtfamilien sind die größte zusammenhängende Risikogruppe in unserem Land, auf die der biografische Faktor multipler Belastungen und Traumata zutrifft“, sagte der auf die Behandlung von Angehörigen Suchtkranker spezialisierte Psychotherapeut Jens Flassbeck in seinem Vortrag vor etwa 60 Teilnehmenden. Nur etwa 40 Prozent gelten als „resiliente“ Kinder, die anderen entwickelten selber Suchtprobleme oder eine andere psychische Störung. 

„Im Prinzip stehen uns in Deutschland für suchtkranke und psychisch kranke Menschen zwei gut ausgebaute Hilfesysteme - Suchthilfe und Psychotherapie - zur Verfügung“, sagte Flassbeck. „Doch in Hinblick auf die psychisch gefährdeten und kranken Angehörigen sind die Systeme nach meiner Erfah­rung unzureichend aufgestellt und kooperieren ungenügend.“ Daher seien unabhängige Vertretungen nötig, die „solidarisch und parteiisch mit den Angehörigen, ihrer Not und ihrem Hilfebedarf sind“, sagte Flassbeck und sieht hier ein wichtiges Aufgabenfeld unter anderem für NACOA Deutschland auch für die Zukunft.

Meilensteine erreicht

Auf die bereits erreichten Meilensteine seit der Gründung von NACOA Deutschland im März 2004 verwies hingegen Reinhard Mayer, Vorstandsmitglied von NACOA Deutschland. Er begann seine Erinnerungsreise im Dezember 2003. Damals war der Psychotherapeut nach Berlin zu einer Tagung ins Bundesgesundheitsministerium zum Thema „Familiengeheimnisse“ gereist. Zum Schluss des Treffens trat dort der noch junge Journalist Henning Mielke ans Rednerpult, stellte sich als betroffenes Erwachsenes Kind aus einer Suchtfamilie vor und erzählte von NACOA USA und seinem Ziel, NACOA Deutschland zu gründen. Mayer, heute Mitglied im Vorstand von NACOA Deutschland, fühlte sich angesprochen: „Endlich sah es so aus, dass es möglich sein könnte, dass eine bundesweite Interessenvertretung entsteht, die im Sinne einer Lobby für die betroffenen Kinder und Jugendliche Sprachrohr in Politik oder Gesellschaft sein könnte.“ 

NACOA-Vorstand Reinhard Mayer bei seinem Vortrag auf der Tagung

Ab 2004 begann die Arbeit, der Verein erstellte Informationsmaterialien für pädagogische und medizinische Fachkräfte, lud zu Strategiekonferenzen, die auf hohes Interesse in der Fachwelt stießen; die Schauspielerin  Katrin Sass konnte als erste Schirmherrin gewonnen werden, mittlerweile hat diese Aufgabe der Sänger Max Mutzke, der mit einer alkoholkranken Mutter aufwuchs, übernommen; die Jugendseite „Trau Dir“ wurde entwickelt; die ersten COA-Aktionswochen fanden statt und bringen bis heute jährlich im Februar in der Woche rund um den Valentinstag bundesweit die „vergessenen Kinder“ in die Medien und die Öffentlichkeit; eine Online-Beratung entstand, die mittlerweile in Kooperation mit KidKit in Köln unter „Hilfen im Netz“ umfassende Beratungen für Betroffene und Fachkräfte anbietet. Der „Fluffi-Klub“ für Präventionsarbeit in Kitas nahm seine Arbeit auf. Er war bereits in zahlreichen Berliner Kitas aktiv und ist weiter gefragt. Zudem wurde die Kommunikationsplattform COA.KOM geschaffen. Sie vernetzt Fachkräfte, die sich um Kinder und Jugendliche aus suchtbelasteten Familien kümmern. Und auch die Arbeit mit und für Erwachsene Kinder aus suchtbelasteten Familien ist zu einem eigenen Arbeitsbereich geworden und schafft Austauschmöglichkeiten für Betroffene und Fachkräfte. 

Die politische Lobby-Arbeit gemeinsam mit anderen brachte ebenfalls Erfolge. Der aktuell sichtbarste: In einem gemeinsamen Antrag der Regierungskoalition und der CDU/CSU-Fraktion wurde im Juli diesen Jahres ein Entschließungsantrag „Prävention stärken – Kinder mit psychisch oder suchtkranken Eltern unterstützen“ in den Bundestag eingebracht, in dem konkrete Schritte für eine bessere Versorgung von Kindern psychisch und suchtkranker Eltern formuliert werden. Er wird derzeit in den Fachausschüssen diskutiert.

Gala mit Max Mutzke

Die Debatte war auch eines der Themen der Gala am Abend. Hinzu kamen unterschiedliche Talkrunden, die verschiedene Facetten des Themas „Aufwachsen in suchtbelasteten Familien“ beleuchteten, Betroffene Erwachsene Kinder berichteten berührend über ihre Erfahrungen, darunter auch die Poetry-Slammerin Michelle Boschet, die mit ihrem Gedicht über das „Monsterbier“ das Publikum begeisterte. Auch die Sängerin „Miss Pirate“ beschrieb in ihren bewegenden Liedern die Abgründe, die das Aufwachsen mit suchtkranken Eltern hervorbringen und die viel zu oft mit einem „Fake Smile“ überdeckt werden. Denn: Noch immer ist Sucht eine tabuisierte Krankheit und in den Familien herrscht ein Schweigegebot.

NACOA Schirmherr Max Mutzke im Gespräch mit Christina Rubarth von der NACOA Öffentlichkeitsarbeit.

Dies immer wieder zu brechen, darüber zu reden und so den vergessenen Kindern eine Stimme zu geben, diesem Ziel hat sich auch der NACOA-Schirmherr Max Mutzke verschrieben. Er krönte den Abend gemeinsam mit dem Pianisten Nick Flade mit einem halbstündigen Konzert, in dem er nicht nur seinen neuen Song „Whisky Baby“ über das Abrutschen in eine Alkoholabhängigkeit vortrug, sondern auch das ältere Stück „Hier bin ich Sohn“, in dem er die Gefühle gegenüber seiner mittlerweile verstorbenen suchtkranken Mutter besingt - zwei Perspektiven auf die Sucht, die das Leben des erkrankten Menschen ebenso prägt wie das seiner Angehörigen.

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