Gelungener Auftakt zur COA-Aktionswoche 2025
Laut werden für Kinder psychisch und suchtkranker Eltern!
Kinderschutz-Netzwerk fordert zum Start der COA-Aktionswoche bessere Politik für Kinder mit psychisch oder suchtkranken Eltern - unterstützt durch Model und Influencerin Betty Taube
Eine bessere Politik für Kinder aus sucht- und psychisch belasteten Familien haben Fachleute aus fünf verschiedenen Organisationen eine Woche vor der Bundestagswahl gefordert. „Rund vier Millionen Kinder und Jugendliche sind betroffen. Viele von ihnen leiden körperlich und seelisch schwer unter der Krankheit ihrer Eltern, erleben häufig Gewalt, finden aber viel zu wenig Aufmerksamkeit und Hilfe. Auch in den Debatten des Wahlkampfes und den Programmen der Parteien spielen sie bislang kaum eine Rolle“, erklärte das Netzwerk auf der Pressekonferenz in Berlin, die den Auftakt zur bundesweiten COA-Aktionswoche 2025 für Kinder aus suchtbelasteten Familien bildet. Die Aktionswoche startet am Sonntag mit über 120 Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet. Auch Betty Taube setzte sich auf der Veranstaltung für die betroffenen Kinder ein.
„Kinder sollten schon von klein auf lernen, dass Sucht und psychische Erkrankungen keine Tabu-Themen sind“, sagte Betty Taube, die mit einer alkoholkranken Mutter aufwuchs. „Ich wusste lange nicht, dass meine Mama suchtkrank ist und habe mir gewünscht, dass sie einfach so ist, wie andere Mamas.“ Im Alter von zehn Jahren kam Betty Taube in ein Kinderheim. Einem Millionenpublikum wurde Taube als Teilnehmerin von „Germanys Next Top Model“ im Jahr 2014 bekannt. Heute arbeitet sie als Model, ist Influencerin und Pilotin und spricht offen über die Krankheit ihrer mittlerweile verstorbenen Mutter und auch über ihre eigenen Depressionen. „Mein Glück war, dass ich wunderbare Freunde hatte, die mir Halt gegeben haben.“
Gemeinsam mit Taube kamen am Donnerstag die Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz (BAJ), der Deutsche Kinderverein e.V., NACOA Deutschland e.V., KidKit/Drogenhilfe Köln und das neu entstandene Bündnis für Kinder aus psychisch und suchtbelasteten Familien, in dem unterschiedliche Organisationen der Kinder- und Jugendhilfe, der Suchthilfe, aus Betroffenen-verbänden und Wissenschaft, in die Politik hineinwirken wollen, zusammen.
„Das Ziel ist es, die Lebenssituation der Betroffenen zu verbessern“, erklärte Andrea Hardeling von der Brandenburgischen Landesstelle für Suchtfragen e.V., die für das neue Bündnis sprach. Psychische Erkrankungen und Suchterkrankungen der Eltern seien der größte Risikofaktor, dass Kinder selbst krank werden. Studien gehen davon aus, dass bis zu 77 Prozent betroffener Kinder in ihrem Leben selbst erkranken. Das Bündnis begrüße daher, dass der Bundestag am 31. Januar diesen Jahres den fraktionsübergreifenden Antrag beschlossen hat, der die Situation der Kinder und Jugendlichen verbessern soll. „Von der Politik fordern wir deshalb, kontinuierlich immer wieder den Blick auf verlässliche Regelungen zur Verbesserung der, Situation der von psychischen Erkrankungen und Suchterkrankungen belasteten Familien zu richten“, erklärte Hardeling mit Blick auf den neuen Bundestag. Sie forderte einen „Paradigmenwechsel, in dem Versorgung von den Kindern und ihren Familien aus gedacht wird und nicht von den Hilfesystemen aus.“
Maja Wegener von der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz (BAJ) forderte in diesem Zusammenhang mehr Kooperation und Kommunikation zwischen den Hilfesystemen. „Die vielfältigen Belastungen der betroffenen Kinder und ihre Familien erfordern häufig mehrere aufeinander abgestimmte Hilfen und Leistungen. Derzeit mangelt es zum Teil noch in an einer fallübergreifenden Vernetzung und einer interdisziplinären Zusammenarbeit der unterschiedlichen Systeme.“ Fachkräfte aus den verschiedenen Disziplinen müssten stärker miteinander in den Austausch gehen und gemeinsam arbeiten.
Einig waren sich die Fachleute, dass mehr Hilfsangebote für die betroffenen Kinder und Jugendlichen geschaffen werden müssen, gleichzeitig aber auch die bestehenden Angebote langfristiger und gesichert finanziert werden müssen. „Sehr viele Organisationen und Vereine kämpfen Jahr für Jahr darum, ihre bewährten Angebote für Kinder und Jugendliche aus psychisch oder suchtbelasteten Familien weiterführen zu können, da ihnen die nötigen finanziellen Mittel fehlen“, sagte Anna Buning, die bei der Drogenhilfe Köln für KidKit zuständig ist. Es entstehe „die absurde Situation, dass immer wieder neue Projekte oder Zusatzangebote erschaffen werden, die nicht aufrechterhalten werden können.“ Buning verwies auf das gemeinsame Projekt Hilfen im Netz von KidKit und NACOA Deutschland, ein bundesweites Hilfeangebot mit Informationen, Online-Beratung und Weitervermittlung für Betroffene und Fachkräfte. „Das Projekt wird zwar aktuell noch bis Juni 2026 durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) finanziert, wofür wir sehr dankbar sind. Eine Weiterfinanzierung ist aber aus den genannten Gründen noch vollkommen ungeklärt. Es würde enormes Potenzial verloren gehen, sollte ein Aufrechterhalten nicht gelingen.“
Rainer Rettinger, Geschäftsführer des Deutschen Kindervereins e.V., forderte eine entschiedenere Politik zum Schutz von Kindern vor Gewalt. „Jede Woche sterben drei Kinder an den Folgen ihrer Misshandlung, jeden Tag werden Kinder krankenhausreif geschlagen, es werden in Deutschland Babys geschüttelt, Kinder gewürgt oder nackt auf die heiße Herdplatte gesetzt. Sie werden nicht gewickelt, sie werden eingesperrt, man lässt sie hungern. Für Kinder, die solches Leid erfahren, gibt es bislang keinen staatlichen Fürsprecher“, sagte Rettinger. Deshalb fordert der Deutsche Kinderverein die Einsetzung eines unabhängigen Kinderschutz-Beauftragten durch den Bundestag. Dieser solle der Bundesregierung und dem Bundestag regelmäßig Bericht erstatten und Hinweise geben, wie der Kinderschutz grundlegend verbessert und das Dunkelfeld minimiert werden kann. „Zudem fordert der Deutsche Kinderverein e.V., dass endlich die Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden.“
Auf eine dringend zu schließende Lücke in den Lehrplänen der pädagogischen und medizinischen Berufe wies Christina Reich, Vorstandsmitglied von NACOA Deutschland e.V. hin. „In jeder Schulklasse und in jeder Kitagruppe gibt es ziemlich sicher nicht nur ein Kind, das in einer suchtbelasten Familie aufwächst. Doch in der Ausbildung von pädagogischen Fachkräften spielt dieses Thema, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle“, kritisierte Reich. Medizinisches Fachpersonal werde zwar auf die Behandlung und die Begegnung mit suchterkrankten Menschen vorbereitet. Die Auswirkungen, die die Sucht der Eltern auf deren Kinder hat, spiele in der Ausbildung aber keine Rolle." Dabei können Erzieher und Erziehrinnen, Lehrkräfte oder Ärzte lebensrettend für die betroffenen Kinder sein.
Zudem forderte Reich eine stigmatisierungsfreie Berichterstattung in den Medien, die die Aufmerksamkeit immer wieder auf die Kinder in suchtbelasteten Familien lenke. „Nicht nur, um ihnen selbst das Signal zu senden, dass sie nicht allein sind mit Ihren oft traumatisierenden Erfahrungen. Sondern auch und vor allem, um Nachbarn, Freunde und Bekannte zu informieren, die um das Problem wissen, aber nicht wissen, wie sie helfen können.“
Reich verwies auf die bundesweite COA-Aktionswoche, die am Sonntag beginnt. Sie soll mit rund 120 Veranstaltungen und entsprechender Berichterstattung darüber dazu beitragen, dass das Thema aus der Tabuzone geholt wird und die betroffenen Kinder die Hilfe finden, die sie dringend benötigen. Beispiel für Aktionen in diesem Jahr finden Sie auf dem beigefügten Informationsblatt zur Aktionswoche oder unter www.coa-aktionswoche.de
Ansprechpartner für weitere Informationen und Interviewwünsche:
Stephan Kosch, NACOA Deutschland e.V., 0179/6673780, presse@nacoa.de
Eine Aufzeichnung der Pressekonferenz finden Sie auf unserem YouTube-Kanal unter:
https://www.youtube.com/live/6_kVsdzj6vk?si=hBQKQdnniJSTI0zM