NACOA Deutschland kritisiert die Programme der Parteien zur Bundestagswahl

Parteien lassen die vergessenen Kinder im Schatten stehen

Rund drei Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland leben mit mindestens einem suchtkranken Elternteil zusammen - doch in den Programmen der Parteien zur Bundestagswahl kommen sie nicht vor. „Kinder mit suchtkranken Eltern bleiben bei dieser Wahl im Schatten, obwohl etwa jedes sechste Kind in Deutschland von der Suchterkrankung eines Elternteils betroffen ist“, kritisiert Dr. Reinhardt Mayer, Vorstandsmitglied von NACOA Deutschland, der Interessenvertretung für Kinder und Jugendliche aus suchtbelasteten Familien. Dabei haben sie vor dem Hintergrund ihrer schmerzlichen, häufig traumatischen Erfahrungen und Erlebnisse in einem suchtkranken Haushalt ein überaus hohes Risiko, später selbst wieder suchtkrank zu werden und/oder weitere psychische Störungen zu entwickeln. Schon allein deshalb müsste es im Interesse der Politik sein, hier möglichst früh gegenzusteuern.

Doch keine der Parteien benennt politische Ziele für diese hochverletzliche Gruppe. Insbesondere der dringend notwendige Ausbau von sicher finanzierten Hilfsangeboten für die betroffenen Kinder, Jugendlichen und Familien, wie ihn NACOA seit langem fordert, taucht in keinem der Programme auf. Dabei hat gerade das pandemische Geschehen noch einmal deutlich gemacht, wie wichtig Anlaufstellen sind, die ihrerseits den Kontakt zu den schwer zu erreichenden Kindern und Familien halten, wie wichtig auch überregionale Angebote wie Telefon- und Onlineberatung sind, damit die Kinder eine spezielle Beratung und Entlastung erfahren.

Zwar versprechen nahezu alle Parteien eine Stärkung der Hilfsangebote für Kinder, behandeln Kindeswohlfragen allerdings unter den Stichworten „Schutz vor (sexualisierter) Gewalt“ oder „Gewalt gegen Frauen und Kinder“. „Diese Themen können mit der elterlichen Suchterkrankung einhergehen. Aber wer die betroffenen Kinder und Jugendlichen und ihre besonderen Belastungen allein diesen Themen zuordnet, wird dem Ausmaß der Problematik nicht gerecht. Kinder aus suchtbelasteten Familien leiden nicht nur unter Übergriffen, sondern vor allem unter einem kontinuierlichen Übergehen ihrer kindlichen Bedürfnisse nach Zuwendung, nach verantwortlichen Erwachsenen, die sich um ihre Belange kümmern statt umgekehrt.“, so Corinna Oswald, ebenfalls im Vorstand von NACOA Deutschland. Hierdurch sei die emotionale Entwicklung der Kinder und Jugendlichen stark gefährdet und sie liefen Gefahr, diesen Mangel später durch eigenen Konsum oder der Suche nach konsumierenden Peers und Partner*innen kompensieren zu wollen.

Dabei war die Verbesserung der Situation von Kindern mit psychisch- oder suchtkranken Eltern Ziel der interministeriellen Arbeitsgruppe, die auch unter Beteiligung von NACOA und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband von 2018-2019 Empfehlungen für die Regierung erarbeitet hatte. Doch lediglich ein geringer Teil der 19 empfohlenen Maßnahmen sind in das neue Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (SGB VIII Novelle) eingegangen. Auch hierzu findet sich keine Erwähnung in den Wahlprogrammen. Das Stichwort „Kinder von psychisch kranken Eltern“ fällt nirgends.

Positiv bewertet NACOA im Wahlprogramm der SPD das Ziel, „Präventionsketten und Netzwerke für Kinder und Jugendliche aller Altersgruppen (zu) schaffen, in denen Jugendhilfe und Gesundheitsdienst, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, öffentliche und freie Träger, Sportvereine und Verbände, Polizei und Familiengerichte auf kommunaler Ebene verbindlich zusammenwirken“. Ebenso begrüßt die Interessenvertretung auch das Vorhaben, Kinderschutzbeauftragte in Kitas und Schulen einzurichten und das Vorhaben von CDU und Grünen, den Kinderschutz in der Ausbildung von pädagogischen Fachkräften verankern zu wollen. Dies könnte ein möglicher Schritt zur Sensibilisierung der Erzieher*innen und Lehrer*innen auch für die Problematik von Kindern aus suchtbelasteten Familien sein.

Eine weitere Forderung von NACOA, nämlich das Verbot von Alkoholwerbung, findet sich allein im Wahlprogramm der Linken, die sich zudem auch für ein Verbot von Tabakwerbung und Glückspielautomaten in der Gastronomie einsetzt. Auch eine konkrete Kampagne zur Entstigmatisierung von Suchtkranken und ihren Angehörigen wird nirgendwo erwähnt, obwohl diese bereits 2017 vom Bundestag beschlossen, bislang aber noch nicht umgesetzt wurde.

Zusammenfassend sieht NACOA Deutschland in den Wahlprogrammen zwar einige Punkte, die im Falle einer Umsetzung auch den Kindern und Jugendlichen aus suchbelasteten Familien zu Gute kommen würden. Die Interessenvertretung vermisst aber eine konkrete Politik für die drei Millionen Kinder und Jugendlichen, die von der Suchterkrankung mindestens eines ihrer Elternteile betroffen sind. „Es kommt nun darauf an, dass die neue Regierung in ihrem Koalitionsvertrag die betroffenen Kinder und ihre Bedarfe berücksichtigt“, erklärte Dr. Reinhardt Mayer. „So muss ausreichend Geld für ein flächendeckendes Netz der Hilfe zur Verfügung gestellt werden, das die regionale und auch die überregionale Versorgung der Kinder und Jugendlichen in Form von Online-Angeboten sicherstellt.“ Zudem müsse in der neuen Legislaturperiode endlich die Entstigmatisierung von Abhängigkeitserkrankten und somit ihrer Kinder angegangen werden.

Scroll to top