Selbsthilfeverbände kritisieren Abschaffung des nächtlichen Alkoholverkaufsverbots in Baden-Württemberg

LAICHINGEN - Die Baden-Württembergische Arbeitsgemeinschaft der Selbsthilfe- und Abstinenzverbände (BWAG) hat sich gegen das Vorhaben der grün- schwarzen Landesregierung ausgesprochen, das Gesetz über die Ladenöffnung, das sogenannte „Nächtliche Alkoholverkaufsverbot“ zu kippen. In einem Brief an das Ministerium von Innenminister Thomas Strobl (CDU) schreibt die BWAG  "Die geplante Gesetzesänderung hat lediglich die offensichtlichen Auswirkungen missbräuchlichen Alkoholkonsums im Blick, nicht jedoch die familiären Auswirkungen hinter Wohnungstüren.

Ein Wegfall des nächtlichen Alkoholverkaufsverbots begünstigt nicht nur das destruktive Verhalten missbräuchlich und krankhaft Alkohol konsumierender Menschen, sondern verschärft in hohem Maß die Lebenssituation unzähliger Familien und insbesondere von Kindern, die keine politische Lobby haben, die sich für ihren Schutz einsetzt.

Die durch das Alkohol-Nachtverkaufsverbot vordergründig Betroffenen sind suchtkranke Menschen. Deren suchtspezifisches Verhalten ist es, ihre Alkoholvorräte gerade bei Nacht aufzufüllen und durch den ständigen Wechsel der Tankstellen u. a. Einkaufsstätten sowohl eine soziale Auffälligkeit zu vermeiden wie auch jeglicher Intervention durch ihre Umwelt zu entgehen.

Die hinter den Kulissen Betroffenen sind eine hohe Dunkelziffer angehöriger Partner, Eltern und Kinder, die den alkoholbedingten Ausfällen in Form von psychischer Gewalt, Körperverletzungen, Sachbeschädigungen u. ä. hilflos ausgeliefert sind.

Es ist eine fragwürdige politische Haltung, vorrangig wirtschaftliche Interessen über das Wohl und den Schutz unzähliger Betroffener und Angehöriger zu stellen. Und es ist eine fatale Fehleinschätzung der Suchterkrankung, wenn bei missbräuchlich konsumierenden sowie bei alkoholkranken Menschen das Verantwortungsbewusstsein mündiger Bürger vorausgesetzt wird.

Fakt ist – und diese Erfahrung haben wir mit unseren Familien auf leidvolle Weise gemacht – dass missbräuchlich Konsumierende immer weniger und suchtkranke Menschen nicht mehr in der Lage sind, ihren Alkoholkonsum und die daraus resultierenden Verhaltensweisen verantwortlich zu steuern. (...) Das Ergehen unserer Partner und das Kindeswohl unseres Nachwuchses war uns dabei zunehmend gleichgültig.

Resümee

  1. Der gesunde Bürger benötigt keine nächtlichen Einkaufsmöglichkeiten. Er ist in der Lage, sein Trinkverhalten zu steuern und seine Einkäufe zu normalen Geschäftszeiten zu tätigen. Und sollte bei einem gemütlichen Abend tatsächlich der Vorrat an Alkoholika einmal ausgehen – wo ist das Problem?
  1. Eine Einschränkung der nächtlichen Verfügbarkeit von Alkoholika ist eine wirksame Schadensbegrenzung sowohl für Kommunen wie von Sucht betroffene Familien.
  1. Die Landesregierung muss nicht nur für eine florierende Wirtschaft sorgen, sie hat auch eine Fürsorgepflicht für die Schwachen der Gesellschaft.
  1. Das durch die Landesregierung gesetzte Signal „keine Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit von Alkohol“ soll erhalten bleiben. Daher fordert die BWAG die Landesregierung auf, die genannten Gesetze voneinander abzukoppeln und das Gesetz über die Ladenöffnung in Baden-Württemberg in der bisherigen Form beizubehalten.

Zahlen

 

2,65 Mio. Kinder leben mit einem alkoholabhängigen und 30–40.000 Kinder mit einem drogenabhängigen Elternteil (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen 2014)

Eine Suchterkrankung erfasst das gesamte Familiensystem, Kinder suchtkranker Eltern erleben eine gravierende Beeinträchtigung und Gefährdung ihrer persönlichen Entwicklung.

In Deutschland gehen wir von 2,6 Millionen Kindern aus, die dauerhaft oder zeitweise von der Alkoholabhängigkeit mindestens eines Elternteils betroffen sind.

In Baden-Württemberg gehen wir von rund 150.000 betroffenen Kindern unter 15 Jahren aus (jedes 7. Kind) aus. Jedes dritte Kind in einer alkoholbelasteten Familie erfährt regelmäßig physische Gewalt – als Opfer und/oder Zeuge (Klein & Zobel, 2001) – und fast

50 % aller kinderpsychiatrischen Patienten einer ambulanten Praxis haben ein suchtkrankes Elternteil (Rosen-Runge, 2002)."

Die vollständige Stellungnahme gibt es hier

Quelle; www.bwag-suchtselbsthilfe.de

 

 

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