Ein Brief

Hallo,

wenn die Eltern zu viel trinken oder Drogen nehmen, fühlt man sich alleine. So ging es mir jedenfalls. Ich glaubte, damals, dass niemand sonst Eltern hätte, die so viel trinken. Und ich glaubte nicht daran, dass es irgendjemanden geben könnte, der versteht, wie ich mich dabei fühle. Aber, es gibt massenhaft Leute, die das verstehen können: Leute, die genau wissen, wie zu Hause die Luft brennt, wenn jemand alkoholkrank oder drogenabhängig ist.

Als ich Jugendlicher war, habe ich mich sehr alleine gefühlt. Jedes Mal, wenn mein Vater anfing zu trinken, hatte ich so ein komisches Gefühl im Bauch, das sagte mir, dass etwas nicht stimmte. Ich hatte Angst, mit irgendjemandem darüber zu sprechen. Ich habe mich immer gefragt, warum mein Vater nicht mit der Trinkerei aufhören kann.

Und ich habe mich gefragt, ob ich irgendetwas falsch gemacht habe, sodass mein Vater trinken musste. Ich konnte keine Freunde mit nach Hause nehmen, weil ich nie wusste, wann es mit dem Trinken wieder losgehen würde. Das Durcheinander bei uns war mir vor meinen Freunden peinlich. Sie sollten nicht wissen, was bei mir zu Hause los war. Denn, wenn mein Vater anfing zu trinken, konnte ich nie wissen, was gleich geschehen würde. Ich habe mich geschämt und habe immer geglaubt, dass mein Zuhause WIRKLICH anders war als das Zuhause meiner Freunde.

Als ich erwachsen war, bin ich ausgezogen, und ich habe Leute getroffen, die auch alkoholkranke Eltern hatten. Ich habe mich viel mit ihnen unterhalten und ihnen erzählt, wie es bei uns zuging. Ich habe mich nicht mehr geschämt, denn sie erzählten mir auch, was bei ihnen alles passiert ist, wenn ihre Eltern betrunken waren. Da habe ich verstanden, dass ihnen genauso verwirrende Dinge geschehen waren wie mir. Bei einigen war das Chaos sogar noch schlimmer als das, was ich durchgemacht hatte. Bei anderen gab es nicht ganz so schlimme Probleme. Eines habe ich verstanden: Die ganze Zeit, als ich ein Jugendlicher war und dachte, ich wäre alleine, weil ich meinte, dass nur ich alkoholkranke Eltern hatte, WAR ICH IN WIRKLICHKEIT GAR NICHT ALLEINE!

Du bist nicht der/die einzige Jugendliche mit alkoholkranken oder drogenabhängigen Eltern hat. Von uns gibt es sehr, sehr viele.

Auf dieser Website kannst Du eine Menge über Sucht erfahren. Mach Dich schlau! Ich wünschte, ich hätte diese Dinge schon gewusst, als ich Jugendlicher war.

Ich hoffe, dass Dir diese Informationen weiter helfen. Wenn einer von Deinen Eltern das nächste Mal zu viel trinkt oder Drogen nimmt, sollst Du wissen: Für Dich gibt es keinen Grund, Dich zu schämen oder Dich schuldig zu fühlen.

Viele Grüße

von einem erwachsenen Kind eines Alkoholikers.